War es wirklich schon zwei Jahre her? Zwei Jahre Maske tragen und Abstand halten und dieses ewige Hände desinfizieren? Bald aber…
Familienehre II oder Eine Ganovenwette War es wirklich schon zwei Jahre her? Zwei Jahre Maske tragen und Abstand halten und dieses ewige Hände desinfizieren? Bald aber sollte es vorbei sein und dann herrschte wieder Normalität. Endlich! Endlich wieder die Taschen der Reisenden und Schaulustigen gehörig ausplündern! Dem alten Taschendieb Otto Habetznic lachte das Herz. Zwar würde das Ende der Coronaregeln in Rostock, wo die kleine 3-Zimmer-Wohnung in Lichtenhagen immer noch trotzig den Stammsitz der Familie bildete, noch etwas auf sich warten lassen, aber es würde schon kommen, dessen war Otto Habetznic sich sicher. Mecklenburg-Vorpommern, aber auch das stattliche und reiche Hamburg, waren ja nach dem Willen dieser politischen Laffen jetzt Corona-Hotspot-Gebiete, was nichts anderes hieß, als dass die Corona-Regeln, die bundesweit seit Anfang April ausgelaufen waren, in diesen beiden Bundesländern einfach weiter galten. Eigentlich eine Unverschämtheit, den Wiedereintritt in seinen geliebten Beruf so unnötig lange hinauszuschieben. Hotspot, Hotspot, wenn er das schon hörte. Zwar war eine Mehrheit der Bevölkerung für die Weiterführung der Corona-Regeln und auch für eine Impfpflicht, zumindest für die über 60-jährigen – auch oder trotz dessen, dass ein Gesetz für eine solche Impfpflicht am 7. April 2022 im Bundestag an den Parteiquerelen und Taktiken bei Regierung und Opposition gescheitert war – aber verstehen konnte er diese Ansichten in der Bevölkerung nicht. Masken runter und Volksdurchseuchung! Das war seine Devise! Anton, sein Sohn, hatte es ihm sogar mehrere Male erklärt: die Corona-Maßnahmen seien notwendig gewesen, solange noch kein Impfstoff vorhanden gewesen und die Lage auf den Intensivstationen der Krankenhäuser besorgniserregend gewesen war. Das war nun anders. Die Masken würden nun die Verbreitung der neuen Corona-Varianten wie Omikron, und wie sie alle hießen, nur unnötig verlangsamen, ohne sie jedoch aufhalten zu können. Stattdessen sei es Gebot der Stunde, gerade die milde Frühlingszeit zur Durchseuchung zu nutzen und im Bedarfsfall mit Impfstoff gegenzuhalten. Auf diese Weise würde sich das Virus bald zu dem entwickeln, was es letztlich sein sollte: ein harmloser Grippeerreger! Ja, Anton war schon ein schlauer Kopf und hatte mit seinen fast 16 Jahren wirklich was auf dem Kasten. Neidvoll musste er es anerkennen. Aber die Familienehre würde Anton niemals begraben! Niemals! Alle Habetznics waren Taschendiebe gewesen, angefangen mit seinem Ur-Urgroßvater, und da sollte nicht ausgerechnet sein Sohn eine Ausnahme machen! Was sich Anton überhaupt herausnahm! Die Klingelpuppe im Flur war zum Üben da und nicht zum täglichen Guten-Tag-Sagen mit freundlichem Händeschütteln. Seine ganze Autorität hatte er aufbieten müssen, damit dieser Taugenichts von einem Sohn wenigstens eine halbe Stunde am Tag an der Puppe übte. Aber nichts! Es war beinahe so, als würde es dem Bengel auch noch Spaß machen, ihn, Otto Habetznic den Dritten, mit seinem Dilettantismus zur Weißglut zu bringen. Vielleicht ganz gut, dass er nicht auch Otto hieß. Vater und Großvater hätten sich bei so einer Stümperei im Grabe umgedreht. Magda, seine Frau, hatte sich damals mit dem Namen „Anton“ durchgesetzt. Aus Liebe zu ihr hatte er mit der Familientradition gebrochen. Die kleine Marie mit ihren sechs Jahren gedieh hingegen ganz nach seinem Wunsch. Sie hatte fast darum gebettelt, endlich auch an die Klingelpuppe heran zu dürfen und machte mit ihren kleinen, zarten Fingerchen schon ganz erstaunliche Fortschritte. Bald schon würde sie ihren Schulkameraden das Pausengeld aus der Tasche stibitzen. Für Anton hingegen mit seinen fetten Pranken war Hopfen und Malz verloren! Was hatte er mit dem Jungen diskutiert, alles vergebens! Er blieb einfach bei seiner Mathematik und seinem blöden Computer! Otto Habetznic erinnerte sich an den April vor zwei Jahren zurück. Ostermontag war es gewesen und wohl der 13. April 2020, als der Junge schließlich mit seiner „Version“ von Familientradition herausrückte: Als immer mehr Selbstständige wegen der virusbedingten Ladenschließungen in Not gerieten und die Landesregierung Soforthilfen angeboten hatte, hatte Anton eine Corona-Homepage gebastelt, bei der viele Selbstständige ebendiese Anträge auf Soforthilfe stellen konnten. Die Daten hatte er sodann übernommen, um dann mit seinen „eigenen“ Anträgen echtes Geld der Regierung abzugreifen. Insgesamt 200.000 Euro hatte er so erbeutet, ehe ihm die Sache zu heiß geworden war und er die Homepage wieder geschlossen hatte. Es war erstaunlich, dass Anton so ganz unbehelligt aus der Sache herauskommen war. Tatsächlich standen sogar kurz nach Schließung der Homepage zwei Polizeibeamte vor der Tür, die nach einem Herrn Antonio Habecik gefragt haben. Denen hatte der Bengel so gekonnt den Dummkopf gemimt, dass die Beamten sich nach ein paar Entschuldigungen gleich wieder verabschiedeten. Danach war nichts mehr gekommen. Gern hätte er dem Jungen das Geld abgenommen, aber Magda war strikt dagegen gewesen. Anton hatte freiwillig 20.000 Euro für schlechte Zeiten in die Familienkasse gelegt und nach Ansicht seiner Frau hatte es sich damit erledigt. „Wie soll der Junge denn lernen, mit Geld umzugehen, wenn du es ihm gleich wieder wegnimmst?“, hatte sie ihm an den Kopf geworfen. „Er wird es nur für Blödeleien und bestenfalls für ein Moped ausgeben“, hatte er entnervt erwidert. Da wäre das Geld bei ihm als Familienoberhaupt doch tausendmal besser aufgehoben. „Es gehört dem, der es stiehlt! - War das nicht immer deine Devise? Nun hat der Junge mal Geld, nun lass es ihm auch!“ Magda hatte ihm wutentbrannt angestiert und demonstrativ die Fäuste in die Hüfte gestemmt. Das tat sie selten, aber wenn sie es tat, war die Diskussion damit zu Ende. So hatte er denn nachgegeben. Was ihn jedoch wirklich wurmte, war, dass Anton mit dem Geld wirklich vorbildlich umging. Wegen der Zinsen, die es infolge dieser seltsamen EZB-Politik nicht mehr gab, hatte Anton das Geld statt auf ein solides Sparbuch gleich im großen Stil in sogenannte Index-Zertifikate, also ETFs, investiert und bislang sogar gut 20 Prozent plus erwirtschaftet. Einfach sagenhaft! Doch mehr noch, auf einer Internetplattform, einer Partnerbörse für Teenager, hatte er unlängst seine neue Freundin, eine hübsche Hamburgerin gleichen Alters und Tochter eines wohlhabenden Hotelbesitzers kennengelernt. Da hat sich der Bengel von dem Drittel des Geldes, dass er nicht investiert, sondern als Notgroschen aufs Girokonto gelegt hatte, einen feinen Anzug für sage und schreibe 350 Euro gekauft und ist mit dem Zug gleich zu ihr nach Hamburg gefahren. Seit einigen Wochen ging es nun schon so, dass sein Junge regelmäßig nach Hamburg fuhr und das trieb ihm die Zornesfalten zuhauf auf die Stirn. So einen Aufstieg hätte er sich seinem Vater gegenüber niemals erlaubt! Es war schon davon die Rede, dass beide im teuren England gemeinsam das Hotelhandwerk erlernen wollten. Noch zwei Jahre Schule, dann sollte es losgehen. Unerhört! Einfach unerhört! Anton rezitierte zwar gebetsmühlenartig, dass keiner mehr verdiene als der ehrliche Kaufmann, und dass Profite im freien Handel einfach am größten seien, aber trotzdem! Da lobte er sich seine kleine Marie, die folgsam an der Klingelpuppe übte. Seit ein paar Wochen hatte sie nun endlich den Dreh heraus, dass die kleinen Glöckchen am Anzug der Puppe keinen Ton mehr von sich gaben, egal, wo er die Übungsgeldbörse auch versteckte. Da hatte er vor zehn Tagen am Abendbrottisch vollmundig erklärt, dass sie nun bald mit ihm auf Beutezug gehen werde. Die kleine kecke Göre mit ihren engelsgleichen blonden Löckchen würde sowieso niemand verdächtigen, ganz gleich, wie ungeschickt sie sich am Anfang auch anstellen würde. Nur der Zeitpunkt für den ersten Beutezug sei noch ungewiss, weil die Laffen in Schwerin nun einmal diese dumme Hotspot-Regelung aufrechterhielten. Während Magda ganz aus dem Häuschen war vor Freude, dass es nun doch bald wieder losginge und er, Otto, statt Anton doch jemanden zur Fortführung des Familiengeschäfts gefunden hatte, blieb Anton ungewöhnlich wortkarg und einsilbig. Gestern nun rückte der Junge endlich mit der Sprache heraus, was ihn die ganze letzte Zeit zu beschäftigen schien. Eine Wette war es, die er vorschlug, und die hatte es wirklich und wahrhaftig in sich: Anton wertete um 30.000 Euro mit ihm, dass es ihm diese Ostern an einem beliebigen Tag zwischen Karfreitag und Ostermontag nicht gelingen werde, so viel Geld zu ergaunern wie er mit seiner Homepage am ersten Tag, also rund 20.000 Euro. Austragungsort der Wette sollte ein Ort ohne Hotspot-Beschränkungen sein, vorschlagshalber gleich die Bundeshauptstadt Berlin und zwar dort, wo genügend Passanten anzutreffen waren, also beispielsweise der Hauptbahnhof, der Alexanderplatz, beim Brandenburger Tor oder eben da, wo er, sein Vater, es für einträglich halten würde. Das Unerhörte an der Wette sollte aber noch kommen. Wenn er, Otto, nämlich verlieren sollte, wenn die 2000 Euro nicht eingebracht werden würden, dann sollte die kleine Marie nicht weiter im Stehlen unterrichtet oder dazu ermutigt werden. Er hätte dies bei seiner Ganovenehre zu schwören. Mehr noch. Die Familie würde nach Hamburg umziehen und er und Magda würden eine bezahlte Anstellung in einem der Hotels des Vaters seiner neuen Freundin annehmen. Die Stelle eines Portiers sei dort gerade vakant und Magda könne statt hier als Putze für einen Hungerlohn dort als Zimmermädchen und Reinigungskraft für das Doppelte anfangen. Auch würde Anton ihm, wenn er sich im Falle des Falles als guter Verlierer erweisen würde und die Bedingungen der Wette prompt umsetzen würde, sofort die 30.000 Euro als Startgeld für Hamburg aushändigen. Er, Otto, hätte also nichts zu verlieren und könnte obendrein das, was er an diesem einen Tag ergaunerte, für sich behalten. In Hamburg sei aber Schluss mit den Taschendiebstählen und weder Gäste des Hotels noch sonst irgendwelchen Bürgern oder Besuchern der Stadt dürften Wertsachen durch ihn verlustig gehen. Auch dies habe er bei seiner Ganovenehre zu schwören und auch hierfür seien die 30.000 Euro sozusagen als Abfindung und Ausgleichszahlung gedacht. Natürlich hatte er den Sohn angeschrien, was für ein irrwitziger Vorschlag das sei und ihn sofort auf sein Zimmer geschickt. Dann aber hatte er doch die ganze Nacht mit Magda über diese unselige Wette diskutiert und schließlich widerstrebend eingewilligt. Immerhin, es war eine gute Gelegenheit, dem jungen um 30.000 Euro zu erleichtern und wann dieser Umzug nach Hamburg tatsächlich stattfinden würde, das war ja nicht ausdrücklich Teil der Wette gewesen und Zeit war dehnbar. Als Austragungsort wurde am nächsten Morgen Ostersamstag, der 16. April 2022, im Berliner Hauptbahnhof festgelegt. Das weitläufige Gebäude mit seinen vielen Geschossen, Treppen, Fahrstühlen und Rolltreppen, Geschäften, Ecken und Gängen war ideal zum Anpirschen, Anrempeln, Angraben und Abhauen geeignet. Nichts konnte eigentlich schiefgehen. Gerade bei Reisenden war bei jedem Beutezug mit mindestens 50 bis 100 Euro je Geldbörse zu rechnen. Bei vier bis fünf Beutezügen in der Stunde und 8 Stunden zwischen ihm und Anton festgelegter Beutezeit musste er sich zwar anstrengen, aber klappen konnte es schon. Eigentlich hätte er sich in den Allerwertesten beißen können, dass gerade Anton und nicht er selbst auf die Idee verfallen war, im Berliner Hauptbahnhof seiner Tätigkeit nachzugehen. Aber was half es, er würde es dem Jungen schon zeigen! Der Tag kam. Die Familie war am Vortag nach Berlin gereist und in einem kleinen, aber gutbürgerlichen Hotel auf Antons Kosten untergekommen, von dem aus der Bahnhof fußläufig in gut 25 Minuten erreichbar war. Er selbst hatte sich für die Wette, bei der es ja nicht nur um seine Zukunft als Taschendieb, die generationenüberspannende Familientradition und seine Ganovenehre ging, sondern auch und gerade um eine gehörige Lektion für diesen Bengel, vorher nächtelang selbst an der Klingelpuppe geübt, sodass nichts mehr schiefgehen konnte. Am 16. April 2022 dann machte er sich in seinem besten Sonntagsanzug, denn gute Kleidung wirkte bei Diebstählen am unauffälligsten, auf zum Bahnhof, während der Rest der Familie etwa 100 Meter in Sichtweite des Eingangs wartete. Noch bevor er, Otto, den Eingang zum Hauptbahnhof selbst betrat, sprach ihn ein gut gekleideter netter Herr mittleren Alters mit freundlichem Gesicht und Rollkoffer an, ob er ihm vielleicht den Weg zum Brandenburger Tor beschreiben könne. Ehe er auch nur einen Ton sagen konnte, hielt ihm der andere bereits einen Stadtplan vor Gesicht und zeigte mit dem Finger auf die Karte, dort, wo sich der Bahnhof befinden müsse. Er konnte sein Glück kaum fassen. Dieser Mann war entweder naiv oder dumm oder beides zugleich, gerade ihn um eine Wegbeschreibung zu bitten. Obwohl der Mann bereits nahe bei ihm stand, rückte er noch etwas dichter heran, begann sich interessiert über die Karte zu beugen und großflächig mit seinem Finger zu suchen. Als er nach ausreichend langen Momenten endlich zur Mitte der Karte vorgedrungen war und dort prompt auch das Brandenburger Tor vorfand, befand sich die Geldbörse dieses Narren schon längst in seinem Besitz. Nachdem er den Rat für die schnellste Strecke zum Tor erteilt und er den Mann höflich alles Gute und ein frohes Osterfest gewünscht hatte, setzte er seinen Weg Richtung Hauptbahnhof fort, wo selbst er, nahe einem Anzeigenbrett und einem Abfallbehälter die erbeutete Geldbörse so unauffällig wie möglich durchsuchte. Der Anblick des Geldes ließ ihm kurzzeitig den Unterkiefer herunterklappen. Er zählte: 1000, 2000, 3000 Euro in bar in Form von 200-, 100- und einigen 50-Euro-Scheinen lachten ihn förmlich an. Es war gerade einmal 9:10 Uhr und der Tag hatte gerade erst begonnen. Weiteres fand sich in der Geldbörse merkwürdigerweise nicht. Also weder ein Ausweis, noch Chipkarten für die Bank oder persönliche Fotos. Aber was scherte es ihm, die Geldscheine jedenfalls schienen echt zu sein. Er nahm das Geld heraus, warf die Geldbörse weg und freute sich seines Lebens. Der Tag hatte gut begonnen und würde in einem wahren Triumphzug über diesen Bengel enden! Die 30.000 Euro gehörten quasi schon ihm und, wenn er es genau bedachte, wahrscheinlich sogar noch mehr! Gerade gestern hatte Anton, der sich seines Sieges nur allzu sicher zu sein schien, sogar noch etwas draufgelegt. Für jede volle Stunde, die er die Werte vor den vereinbarten 8 Stunden, also vor 17:00 Uhr, mit 2000 erbeuteten Euro beendete, wollte er noch jeweils 1000 Euro je Stunde dazugeben. Das machte Stand jetzt zusätzliche 7000 Euro! Also 30.000 Euro Wettgeld plus 3000 Euro Beute plus 7000 Euro Stundengeld machten glatte 40.000 Euro und eine Zukunft, die weiterhin ihm gehörte. Da würde Anton ganz schön staunen! Mit siegesgeschwelter Brust und leicht vorgelegten Kind stand er da. Er konnte den Erfolg bereits auf der Zunge schmecken. Heute Abend gab es Schampus für alle! Die Frage war, was er mit der angebrochenen Stunde machen sollte. Weitere Beutezüge unternehmen und bei Gefasst-werden vielleicht alles riskieren? Was, wenn sich heute weitere Diebe auf dem Hauptbahnhof aufhielten und es selbst unversehens zum Opfer würde? Schließlich waren die 3000 Euro wie errechnet ja tatsächlich 40.000 Euro wert. Er entschloss sich, kein weiteres Risiko einzugehen und die Werte einfach als gewonnen zu betrachten und aufzuhören. Federnden Schrittes verließ er den Bahnhof und schritt in Richtung seiner Familie, wo Magda verblüfft rief, ob er schon aufgeben wolle. „Keinesfalls, mein Schatz, keinesfalls!“, erklärte er siegesbewusst. „Wir hatten aber vereinbart, dass die Wettzeit beendet ist, wenn du wieder zu uns herantrittst“, meinte Anton. „Daran entsinnst du dich doch noch, oder?“ Er ging mit der kleinen Marie an der Hand, die sogleich fröhlich auf ihn zugelaufen kam und ihn mit einem Küsschen auf die Wange begrüßt hatte, die letzten Meter zu Frau und Sohn. „Klar ist die Wettzeit beendet, was denkst du denn?“, sagte er leicht überheblich. „Also hast du die 2000 Euro?“, wollte Anton wissen. „Klar habe ich!“ „Otto“, sagte Magda erstaunt und in einem Tonfall, als wollte sie sich gleich wieder in ihn verlieben. Er ließ die kleine Marie kurz los und kramte in seiner Anzugtasche. „Aber da war es doch…“, sagte er tonlos, als er das gewünschte nicht gleich fand und begann sodann hektisch seine Taschen abzuklopfen. „Suchst du das hier, Papa?“, fragte die kleine Marie und hielt ihm die 3000 Euro hin. „Die hab´ ich dir nämlich vorhin geklaut, damit du siehst, dass ich an der Puppe nicht umsonst geübt habe. Übrigens, hier sind noch die zehn Euro Essensgeld von Mama, die habe ich dir vorhin auch weggenommen, siehst du?“ Ein breites Lächeln bemächtigte sich seiner über den ersten gelungenen Diebstahl seiner Kleinen, von dem er wirklich gar nichts bemerkt hatte. Vorhin, bei dem Küsschen und der Umarmung musste sie ihm das Geld einfach stibitzt haben. „Du bist ja ein Goldschatz!“, rief er glücklich und hob sie mit beiden Armen in die Luft. „Wieviel Geld hast du denn jetzt, Papa?“, fragte Anton interessiert. „Ohne die zehn Euro eurer Mutter genau die 3000 Euro, die Mariechen in den Händen hält. Vorsichtig nahm er seinem Töchterchen das Geld ab, reicht es Magda und drückte Mariechen herzlich an sich. „Also eigentlich rein gar nichts“, konstatierte Anton geschäftsmäßig. „Wieso nichts? Die 3000 Euro sind doch nicht nichts!“ „Doch, sind sie“, insistierte Anton. „Marie hat sie dir vor Beendigung der Wettzeit fachgerecht abgenommen und wenn man das entwendete Essensgeld noch hinzudenkt, stehst du sogar noch mit zehn Euro Miesen in der Kreide. Für die 20 Minuten, die nun vergangen sind, ist das nicht gerade ein Erfolg. Gut, dass du dich mit den Diebstählen nun zur Ruhe setzen kannst.“ „Kann ich das Geld denn behalten, Mama, und ziehen wir jetzt nach Hamburg?“ „Natürlich, meine Kleine“, sagte seine Frau großzügig zu Marie. „Aber Magda“, sagte er bestürzt. „Gestohlen ist gestohlen!“, beharrte Magda. „Du willst deiner Tochter doch nicht ihr erstes Beutegeld wegnehmen, oder?“ „Deine zehn Euro zum Essen kannst du aber zurückhaben“, sagte Mariechen und drückte ihren Papa noch ein wenig fester. „Nein, nein“, wehrte er ab, „was du genommen hast, das gehört auch dir“, hörte er sich sagen. Beinahe automatisch sah er seinen Sohn an. Anton hatte so ein seltsames kleines Lächeln an sich, als hätte er dies alles geplant. Hat er wirklich den Mann vor dem Bahnhof bestochen, dass er sich von ihm, Otto, ausplündern ließ und die kleine Marie dann überredet, ihn die erbeuteten 3000 Euro gleich wieder abzunehmen? Das Lächeln von Anton blieb. Er schaute Mariechen in ihr freundliches Gesicht und fragte dann fürsorglich: „Was willst du denn mit den 3010 Euro machen? Weißt du das schon?“ „Ich werde fleißig lernen und dann Hotelmanagerin.“ Die Kleine strahlte. „Anton sagt, dass es genau der Betrag ist, den man zu Anfang braucht, damit man später bei dem Hotel seiner Freundin in die Lehre gehen kann. Das ist doch in Ordnung, oder, Papa?“ Otto Habetznic sah wieder verblüfft zu Anton herüber. Dieser aber hob nur die Schultern und wiederholte stoisch seinen alten Wahlspruch. „Es gibt nichts gerisseneres als einen ehrlichen Kaufmann.“
Weiterlesen