„Uns geht's ja noch gold“

Das Rostocker digitale Tagebuch

Corona-Tagebuch Rostock – Teil 2

Corona – zwei Jahre bleierne, zähe Zeit. Keine Kunst, Kultur, Leichtigkeit. Kein Theater, kein Konzert. Das Internet genügt mir nicht. Das ist kein Ersatz. Ich möchte mit allen Sinnen erleben, was mir wichtig ist.
Corona – das ist Vereinsamung. Noch mehr. Alleinsein. Wer es bisher nicht war, wird es oft jetzt, schwer wieder zu überwinden, was zwei Jahre lang geboten war.
Corona – dazu geeignet, den Glauben an die Demokratie zu erschüttern. Politik, so unendlich schlecht gemacht, im Großen und im Kleinen.
Corona in Rostock - ein Bürgermeister, der sich in Talkshows spreizt und sich lobt, obwohl die niedrigen Inzidenzen nur ein Zufall sind. So viel Chuzpe muss man erst einmal haben!
Corona – ein Land, das keine Impfpflicht durchsetzen kann. Nur für jene, die uns gerettet haben – das Pflegepersonal. Das kann man nicht verstehen. Alle oder keiner. Nicht einmal dafür reicht die Solidarität. Sich impfen zu lassen, um Schwächere zu schützen.
Corona – stundenlang anstehen in der Booster-Boa. Die Schlange reicht bis Hamburg, der Impfstoff nicht bis zu mir.  Der dritte Versuch vor dem Unigebäude in der Schwaanschen Straße gelingt. Erleichterung! Dreimal geimpft. Mehr kann ich nicht tun. Schon beim Hausarzt musste ich betteln. Ich bekomme zweimal AstraZeneca, habe im Gegensatz zu der 70jährigen vor mir keine Vorbehalte. „Ich nehme nur Biontech!“, schreit sie vor dem Tresen. Jetzt müssen die Jungen auf die Alten warten, weil denen bestimmte Impfstoffe nicht gut genug sind. Dabei haben gerade die Jungen lang genug für die Alten verzichtet. Erbärmlich, das Verhalten vieler Älterer. Rücksicht fordern, ohne selbst bereit zu sein, dasselbe auch für junge Leute zu tun. Generationenvertrag geht auch anders herum. Jetzt brauchen die Jungen auf viele ungeimpfte Alte auch nicht mehr zu warten. Geht feiern! Und das ausgiebig.
Corona – ein Virus, welches den Spiegel vorhält. Viele dürften keinen Dorian Grey darin gesehen haben.
Corona- Zeit für schäbige Geschäfte, Krisengewinner, die auf Staatskosten Beute machen. Zwielichtige Maskendeals, ein Gesundheitsminister, der minderwertige Masken an sozial Schwache verteilen lassen will. Für die sind sie gut genug. Schamesröte. Wut. Menschen aufteilen in Klassen. Bei einem Virus, welches ohnehin vor allem sozial Schwache bedroht. Und jene, die sich nicht gut genug informieren können oder für die Homeoffice einfach nicht machbar ist.
Corona – gekommen, um zu bleiben. Mit immer neuen Varianten. Die nächste kommt bestimmt. Niemand denkt daran, ärmeren Ländern beim Impfen ihrer Bevölkerung unter die Arme zu greifen. Das macht sich sicher bezahlt. Für das Virus.
Corona – zwei Jahre Zeit, jegliche Illusion an das Gute einer Gesellschaft zu verlieren, weil nicht einmal eine weltweite Pandemie mit Millionen Toten reicht, um über den eigenen Tellerrand zu denken.
Corona – nur Vorstufe zu einer noch größeren Katastrophe, dem Überfall auf die Ukraine. Krieg in Europa. Das Virus muss sich in die zweite Reihe stellen. Keine Erholung. Was Corona nicht geschafft hat, bricht der Krieg. Mir fehlt die Zuversicht.

Eine Kooperationsarbeit des Literaturhaus Rostock e.V. mit dem Kempowski Archiv Rostock e.V.