Wir haben auf unserem Gelände zwei künstlich angelegte Wasserspiele, eines direkt gegenüber dem Haupthaus, das andere an ihm angeschlossen und durch die große Sichtscheibe des Zeitungsraums in seiner Größe gut zu sehen. Hier verbringen ich jeden Tag eine halbe Stunde mit der Lektüre von Weltnachrichten, Provinzpossen und dem kleinen Satz, der mich über den Tag lang beschäftigen könnte. Habe ich ausgelesen, sitze ich nur da und höre dem Brunnen zu. Er spricht so leise zu mir, ist vom Sessel aus kaum zu vernehmen. Alles äußerst reduziert. Und doch denke ich beim Anblick an die wuchtige volle Lautstärke, die aufkommt, wenn ich an der Ostsee stehe. Die Augen geschlossen folge ich jeder Nuance der stürmischen Rede des Meeres. Ich habe die Wildheit, die Wellen, den Schaum, die Gischt, die Wolken vom Wind in Fetzen gerissen im Kopf. Ich durchlebe, fühle die erfrischende Kraft der Elemente, die an meinen Kleidungsstücken zerren, meinen Körper bearbeiten. Die wenigen Haare fliegen auf und werden mir fast vom Haupt gerissen. Ich spüre Sand, der meinen Gesichtshaut massiert bis er mir lästig wird, sie nur noch traktiert. Ich rieche Fisch, meine Nasenflügel vibrieren wie als würde ein Tier Witterung bekommen. Öffne ich die Augen rasch wieder, so ist da nur dieser Brunnen hinterm Glas, in dem dunkle, tief orange eingefärbte Goldfische dümpeln, bei denen ich mich frage, wie sie hier nur zufrieden herumschwimmen können. Genügsame Tiere wie keine einzige Möwe an der Ostsee je sein könnte. Ich höre sie bejahend laut kreischen, während ich mich erhebe und langsam Richtung Postkasten spaziere. Über Kieselsteine geht der Weg hinweg wie über einen Teppich, den man barfuß abschreiten sollte, um ihn irgendwie gerechter zu empfinden. Ich habs einmal probiert. Er kann sich nicht mit dem Sand der Ostsee messen, bleibt weit hinter dem Urerlebnis zurück, das ich aus Kindheitstagen noch in mir trage. Der Kiesel hier knirscht nur müde wie gelangweilte Katzen eventuell lustlos fauchen, nur um zu zeigen, dass sie da sind. Ich wandere dann mit Post beladen oder nicht, ein kurzes Stück weiter und stehe vor einem kleinen Sprudel. Da kommt das Wasser aus dem Mund einer Putte. Es tröpfelt nicht einmal kniehoch regelrecht munter in ein kleines Halbrund, das mit Wassergrün zugewachsen ist. Der Strahl trommelt eine ewige Melodie, die mich maulfaul mitsingen lässt, von Desmond und seinen Verkaufskarren auf dem Markt handelt, und Molly, die Sängerin in einer Band, zu der Desmond sagt: Hey, du gefällst mir. Während Molly nach seiner Hand greift und obladioblada singt, gehe ich die hintere Front der Studios ab. Das ist in ehrlicher Frühe am weisesten getan. Denn da liegen sie alle noch in Tiefschlaf begriffen und über allem ist eine beinahe drohende Stille, wie man sie an schwülen Abenden am Rostocker Hafen erleben kann, wenn der Tag ausgepowert und erschöpft am Boden liegt, sich so nichts mehr regen und bewegen mag. Ich verliere dann kurz die Orientierung, denke nicht mehr in Rom, auch gar nicht in Italien, schon gar nicht an der Hintertreppe meines Studios zu sein. Und muss dann sofort ins Haus stürmen, den Wasserhahn aufdrehen, mein Ohr ganz dicht ans Waschbecken legen, den Kühlschrank öffnen, an der geöffneten Fischbüchse riechen, um wieder Halt zu gewinnen. Hering in Tomatensoße hilft am besten gegen derartige aufflammende Seesehnsüchte.