„Uns geht's ja noch gold“

Das Rostocker digitale Tagebuch

Tagesbeschreibung vom 17.04.2020

Vom normalen Tagesablauf ist nicht viel geblieben.
Nicht mehr morgens aufwachen, fertig machen und ab ins Büro. Auch mein Arbeitsgeber hat uns in Kurzarbeit geschickt. Immerhin nicht 100% sondern nur 30%. Das sind in der Woche noch 28h, anstatt der üblichen 40.
Aufwachen tue ich trotzdem zur gewohnten Zeit, muss jedoch ein bis zwei Stunden überbrücken, bevor es Richtung Büro geht.
Für viele wäre so eine bezahlte Freizeit sicherlich toll. Auch viele meiner Kollegen können sich jetzt mehr auf ihre Familien oder Hobbys konzentrieren. Für mich bedeutet es eine weitere starke Einschränkung in meinem Leben. Ich liebe meine Arbeit und bin gerne bereit Überstunden zu machen. Jetzt muss ich nach einer viel zu kurzen Zeit das Büro verlassen.
Es fühlt sich so falsch an erst noch ein Weile im Bett zu liegen und die Zeit Tod zu schlagen, wo doch mein Kopf bereits auf Arbeit ist und die Aufgaben des Tages durchgeht.
Außer Arbeit und Sport ist mir nicht mehr viel geblieben. Früher habe ich in meiner Freizeit hauptsächlich Freunde getroffen. Mein Terminkalender war voll und eine spontane Verabredung kaum möglich. Das geht nun nicht mehr aufgrund des Kontaktverbots. Für meine anderen Hobbys habe ich zurzeit keine Geduld, weil das Virus und die derzeitige Situation zu viel Platz in meinen Gedanken einnimmt.
Endlich ist die Zeit rum und ich kann mich fürs Büro fertig machen. Die ersten Menschen treffe ich auf der Straße. In den letzten Wochen ist erschreckend wenig los und die paar Leute, die man sieht, hasten an einem vorbei.
Das Büro ist nur eine kurze Strecke zu Fuß entfernt und ich bin froh überhaupt hingehen zu können. Nicht wie viele andere, die ins Zwangs-Homeoffice geschickt wurden. Mein Arbeitgeber stellt es uns frei ins Büro zu kommen.
Ich habe mich als Erste freiwillig gemeldet. Jeden Tag das Haus verlassen und eine Art von Struktur zu haben ist essentiell. Ohne wenigstens diesen kleinen Teil von der früheren Normalität würde ich wahrscheinlich durchdrehen. Auch wenn ich zurzeit alleine im Büro bin und durch die verwaisten Räume streife. Die eine Hälfte der Kollegen hat Urlaub und die andere ist im Homeoffice. Es fehlt mir nicht nur der fachliche Austausch mit den Kollegen, sondern hauptsächliche der gelegentliche Plausch am Kaffeeautomaten oder die Gesellschaft beim Mittagessen.
Ich gehe gerne früh ins Büro, zumindest war es vor Corona so, um noch etwas Ruhe zu haben, bevor die Kollegen ebenfalls da sind. Aber den ganzen Tag Ruhe? Wochenlang? Das schlägt ziemlich aufs Gemüt.
Mein erstes Highlight heute ist der Einkauf des Mittagessens. Für mein Sushi habe ich die Stäbchen vergessen und die Verkäuferin ist so nett und holt mir welche. Es ist so unglaublich angenehm, dass diese einfache Nettigkeit noch existiert. Auch wenn ich stetig, aufgrund der Glasscheibe zwischen mir und der Kasse, daran erinnert werde, dass es sich nicht um einen normalen Tag handelt.
Wieder zurück im Büro bin ich froh, dass der halbe Arbeitstag bereits herum ist und ich die leeren Räume bald verlassen darf. Um nicht bei jedem kleinen Geräusch aufzuschrecken, lasse ich die Musik im Büro laut laufen. Zurzeit störe ich damit keinen.
Endlich ist auch dieser Tag und diese Woche geschafft. Ab nächster Woche bin ich nicht mehr alleine im Büro, dann kommt ein Kollege aus dem Urlaub zurück.
Zum Glück stellt sich mir nicht die Frage, ob ich am Montag noch Arbeit habe. Mein Job ist krisenfest und ich muss mir keine Gedanken darum machen, ihn zu verlieren.
Jetzt bleibt mir noch den Rest dieses Freitags und die nächsten zwei Tage rumzukriegen. Es werden sich bestimmt ein paar Freunde finden, mit denen man telefonieren oder skypen kann.

Eine Kooperationsarbeit des Literaturhaus Rostock e.V. mit dem Kempowski Archiv Rostock e.V.