„Uns geht's ja noch gold“

Das Rostocker digitale Tagebuch

Schlohweißer Tag

Als es hieß wir können am Soundsovielten wieder öffnen, haben wir sofort mit den Vorbereitungen begonnen. Aufräumen und kleinere Umbauten, um die Abstandsregeln zu gewährleisten, all dies ohne richtigen Enthusiasmus. Ein Gefühl wie Endzeit Movie ist das: Sie dürfen den Bunker bald verlassen. Das sollte uns erfreuen, aber wer weiß denn schon, was kommen wird? Es ist doch so Vieles durcheinander.

Dann endlich dieser Morgen, die Sonne kitzelt mich aus dem Bett und ich bin voller Energie. Ein wenig früher will ich heute im Geschäft sein, denn es sind noch letzte Handgriffe zu tun. Mit der Müslischale in der Hand checke ich noch schnell meine Mails und finde ein paar Formulare, die noch versendet werden müssen, bevor ich zum Laden gehe. Auch der Hund ruft draußen, will sein Futter und ein bisschen Bewegung. Gut, das werde ich noch rasch erledigen, vorher. Genug Schwung habe ich.

Das Telefon klingelt. Ich bin nicht glücklich über diese Unterbrechung, gehe aber ran. Ein gut bekannter Kunde ist dran, fragt, wann wir öffnen und ob ich nicht vielleicht schon hinten im Laden sei, denn er stehe bereits vor der Ladentüre. Ich verneine und bitte um zehn Minuten für Frühstück und Hund, dann würde ich kommen. Schließlich ist es eine halbe Stunde vor der Öffnungszeit, denke ich. Aber das sagt man natürlich nicht zu netten Kunden. Ah, sagt er plötzlich, da kommt ja schon ihre Kollegin. Ich lege auf, dankbar für die paar privaten Minuten, die sie mir gerettet hat.

Der Hund freut sich über mich, wir spielen unsere obligatorischen drei Runden Ball und über sein Futter freut er sich noch mehr. Heute früh wollte sogar die Katze mitspielen, das heißt, sie hat den Ball gar nicht gewollt, sondern nur uns aus dem Hinterhalt überfallen. Blitzschnell und sofort wieder weg, als der Hund auf sie zustürmt. Mit frischen Lachfältchen verlasse ich mein Zuhause.

Dass der Laden geöffnet ist, sieht man heute schon von Weitem. Die Tristesse der Zweckbaufront wird von bunten Postkartenständern, unserem rollenden Büchertisch, Sandspielzeug und Windmühlen belebt, die draußen unter den bunten Markisen stehen. Endlich wieder voll geöffnet, ruft dieses Bild. Ich will den Hintereingang benutzen und muss mich durch Kisten und halbfertige Displays wühlen, die die Kollegin heute früh rasch hierhin verschoben hat. Endlich bin ich durch, betrete den Laden, begrüße die Kollegin und zwei neugierige Kunden, alles mit gebührend Abstandsregel.

Als Erstes hänge ich ein Schild auf: Herzlich Wilkommen!, leuchtet es nun über den ganzen Parkplatz. Aber die rechte Stimmung will nicht aufkommen. Die wenigen Kunden des Vormittags sind größtenteils Neugierige, die sich nur die Füße vertreten. Man will sehen, was so lange versperrt war. Richtige Freude hat niemand und auch unsere Ladenkasse zeigt zu Mittag kein erleichterndes Ergebnis an. Also beschließe ich, wenigstens den Hintereingang wieder frei zu machen, schiebe Kartons und Displays hinaus, räume übrige Ware ins Handlager, baue Kartenständer auseinander und zerlege Kartons.

Der Chef vom Supermarkt sucht sich einen Weg durch mein Kistenchaos und nickt mir zu: Na, läufts wieder an? Ich muss wohl etwas bedröppelt aussehen, als ich sage: Naja, keine rechte Stimmung bei den Leuten, lass abwarten. Er brummt ein Wort mit SCH, als er sich in Richtung Supermarkt entfernt. Dabei hätte ich gedacht, dort verdienen sie gut, wenn alle anderen Läden zu sind. Aber Schwung und gute Stimmung scheinen nicht zu sein. Man schleppt sich so dahin, durch diese komische Zeit.

Dabei sind unsere Kunden alle nett. Wir haben einen neuen Rundgang gebaut, Kreidepfeile gemalt, Abstandsmarkierungen geklebt und mit Möbeln und Kartenständern Leiteinrichtungen geschaffen. Meine Kollegin schickt fröhlich die Kunden zurück, die unseren Laden über den Ausgang betreten und alle sagen ACH SO. Und bitte nehmen Sie einen Korb, das hilft uns, Übersicht zu behalten, sagt sie noch. Wieder ACH SO, niemand schimpft, niemand ist irgendwie betroffen. Alle verstehen, dass wir weiter für sie öffnen wollen und es eben nur so geht. Draußen scheint den ganzen Tag die Sonne und drinnen entspannt sich die Stimmung, je länger geöffnet ist. Die Kunden bummeln wieder, achten auf die Kinder und achten auf Abstand. Wenn ich Ware nachbestücke, drücke ich mich mit entschuldigenden Worten oder Gesten an den Leuten vorbei, nur nicht husten jetzt! Das ist sie also, die neue Normalität, auf die wir gehofft haben. Der vorsichtige Anfang eines öffentlichen Lebens mit dem Virus. Sicher, ganz Vieles ist noch nicht möglich und ganz Viele bangen noch um Ihre Existenz. Aber wir haben angefangen, Wege aus der Isolation zu gehen. Jetzt ist das Gehen wichtig und das Aufmerksam bleiben. Den Erfolg wird man in einigen Jahren beurteilen.

Eine Kooperationsarbeit des Literaturhaus Rostock e.V. mit dem Kempowski Archiv Rostock e.V.