„Uns geht's ja noch gold“

Das Rostocker digitale Tagebuch

Rom liegt am Meer

Rom ist von allen Orten, die ich bisher bewohnen und beschreiben durfte, der stillste momentan. Mein Zimmer in der Villa Massimo gleicht einem Baumhaus, wie es einst von uns Kindern an der Ostseeküste gebaut worden war. Wir saßen dort so viele ungenannte Stunden. Wir schauten auf nichts anderes als den Strand, das Meer, den Horizont vor uns. Und über all dem war der große weite lichte Himmel gespannt. Wir erlebten geheimnisvolle Windstille. Wir ertrugen lähmende Hitze. Das Himmelsblau wich. Wind kam auf. Finstere Wolken und hohe Wellen bildeten sich. Peitschender Sturm setzte dem wilden Meer Schaummützen auf. Sand flog uns ins Gesicht. Wir drohten im tiefen Grau der Wolken zu verschwinden. Wir hielten uns einander fest und hielten durch bis das böse Tosen dann endlich ausklang, die Elemente um uns sich wieder beruhigten. Zum Abend hin erstrahlte alles im Licht der Sonne. In ihrem schönsten purpurroten Kleid ging sie, so schien es uns, langsam und nur für uns unter. Als schritte sie hinterm Horizont eine unsichtbare breite Freitreppe herab. Und dann wurde es Nacht. Die Sterne funkelten und flüsterten miteinander. Der Mond trug einmal einen doppelten Hof. Uns Kindern war bange, er würde für immer in ihnen gefangen bleiben. Die festen Ringe lösten sich auf. Ein neuer Tag begann. Wir verließen unser Baumhaus. Wir liefen tanzend in den Ort zurück. Wir sangen: Welch ein heller Tag ist jener Tag, der die lange Finsternis übersteht. Was für ein Festplatz wird Rom sein, singe ich, haben wir unsere Fensterplätze erst einmal wieder verlassen.

Eine Kooperationsarbeit des Literaturhaus Rostock e.V. mit dem Kempowski Archiv Rostock e.V.