„Uns geht's ja noch gold“

Das Rostocker digitale Tagebuch

LILLY und CILLY

Sie kamen unangemeldet.
Ich lud sie nicht ein. Jetzt, in Zeiten von Corona, wird  sowieso keiner eingeladen. Nein, sie luden sich selbst ein, liessen sich nicht vertreiben. Früher gab es Zeiten, an denen sie überhaupt nicht auftauchten. Ja, ich wusste  gar nicht, dass sie existieren.
Jetzt sind sie da, ständig.
Am Anfang dachte ich, sie werden wieder verschwinden. Doch weit gefehlt! Ich ignorierte sie. Was sie in keinster Weise störte. Ich regte mich masslos auf, beschimpfte sie. Ohne Erfolg!
Jeden Morgen grinsen sie mich an.
    
Ich versuchte, sie auszuhungern.
Sie bekamen so gut wie nichts mehr zu essen, was in der jetzigen Zeit anstrengend war. Eine Kontaktsperre zum Kühlschrank gab es ja nicht!
Das half- kurzzeitig. Sie verschwanden für einige Tage, um dann ganz frech wieder aufzutauchen. Und das in Momenten, wo ich nicht mit ihnen rechnete.
Um ihnen beizukommen, musste ich meine Taktik ändern.
Ich arrangierte mich mit ihnen. Wir schlossen einen Pakt und -welch ein Wunder- sie hielten sich dran. Bis heute!
Wir einigten uns, dass sie jetzt zu mir gehören, kein Verstossen mehr von meiner Seite.
Vom Lieben war ich allerdings meilenweit entfernt.
    
Nun gehören sie zu mir.
Morgens begrüssen wir uns, ich oftmals unwirsch. Abends sagen wir uns 'gute Nacht'- auch nicht unbedingt fröhlich. Wenn ich ganz ehrlich bin, hasse ich sie noch immer.
Sie aber sind glücklich über den neuen Zustand, denn sie möchten unbedingt dazugehören. Die Rolle der notorischen Störenfriede war auch für sie undankbar.
An besonderen Ereignissen ziehen sie sich zurück, tatsächlich sind sie dann nicht sichtbar. Wie sie das wohl machen? Oder will ich sie in besonderen Momenten nur nicht sehen?
Ich weiss natürlich, dass sie da sind, meine Lilly und meine Cilly, meine beiden "Speckseiten".
Inzwischen gehören sie richtig dazu und wenn ich ehrlich bin, ich mag sie auch. Deshalb bekamen sie einen Namen. Und das Verrückte an der Sache ist, von Aussenstehenden werden sie oftmals nicht wahrgenommen oder als störend empfunden.
Sie berichten mir ganz stolz, dass sie als griffig empfunden und gerne berührt werden. Übertreiben sie da nicht etwas?
Würde ich sie weiterhin aushungern, was würden sie wohl machen? Richtig!
Lilly und Cilly würden sich in ihre Speckfäustchen lachen.
Laut und lange.

Eine Kooperationsarbeit des Literaturhaus Rostock e.V. mit dem Kempowski Archiv Rostock e.V.