„Uns geht's ja noch gold“

Das Rostocker digitale Tagebuch

Homeoffice II

Nun ist tatsächlich schon die vierte Woche angebrochen. Immer noch Homeoffice. Mir fehlen die Kollegen und die Leser. Aber ich habe mir jetzt einen Trick ausgedacht, der ganz gut funktioniert: Bei etwas unklaren Anfragen zur Onleihe biete ich an, die Leser anzurufen, um das „Problem“ schneller zu lösen. Das klappt, ich hatte jetzt schon mehrere seeehr lange Telefonate mit Onleihe-Kunden, die am Ende sehr gut beraten den Hörer auflegten. Das war fast wie das echte Leben!

Ansonsten habe ich eine neue Leidenschaft entdeckt: Beim Kunstunterricht mit meiner Enkelin beklebten wir in der letzten Woche Luftballons mit Papier und Tapetenkleister. Was ich meinem Sohn nicht verraten habe: Am Ende klebte ich allein und meine Enkelin verzog sich mit meinem Tablet aufs Sofa. Mir hat das Bekleben so viel Spaß gemacht – es hatte etwas Meditatives. Also habe ich immer weiter gemacht und beklebt und beklebt. Aber nun habe ich zwei Probleme: der Tapetenkleister ist alle und die Baumärkte sind zu – und ich habe ernsthaft ein Platzproblem. Ich muss mir etwas Neues ausdenken – vielleicht Papiergirlanden falten. Die hängen wir dann, wenn wir uns endlich wieder treffen können, bei unserem ersten Familienfest (das unsere bis dahin verpassten Geburtstage, Ostern, die ausgefallene Jugendweihe meiner großen Enkelin, die verpasste Pullerparty für meinen jüngsten Enkel und, und, und… ersetzen wird) zusammen mit den beklebten Ballons in die Bäume und freuen uns, dass wir alle wieder zusammen sein können.

Meinem Kater gefällt es immer noch nicht, dass ich die ganze Zeit in seinem Haus bin. Am Wochenende kam er von der Nachtschicht und legte sich wieder auf seinen Platz auf das Sofa. Ich freute ich, dass er nun doch wieder unsere Gesellschaft suchte. Aber nein, am Montagmorgen, als er merkte, dass ich immer noch da bin, ging er wieder in den Keller, um den Tag dort zu verschlafen. Er kennt offensichtlich die Wochentage. Da hat er mir etwas voraus: Mir ist jegliches Zeitgefühl abhandengekommen – beim Aufwachen kann ich nicht mit Gewissheit sagen, welcher Wochentag ist. Beim Datum bin ich ganz raus – dazu brauche ich mein Handy. Und wenn ich dann sehe, welcher Tag heute ist, bin ich entsetzt: Die ganze Welt steht still, aber die Zeit verrinnt trotzdem wahnsinnig schnell.

Beim fehlenden Zeitgefühl bin ich scheinbar nicht allein – als ich gestern meine große Enkelin zu einer Radtour abholen wollte, saß mein Sohn mitten im Unterricht mit meiner kleinen Enkelin. Die beiden hatten tatsächlich die Osterferien verpasst!

Ich hoffe, dass diese einsame Zeit bald vorbei ist, dass wir die Feste so feiern können, wie sie fallen und unsere Pläne wieder funktionieren.

Eine Kooperationsarbeit des Literaturhaus Rostock e.V. mit dem Kempowski Archiv Rostock e.V.